Datum/Uhrzeit
Date(s) - 28/05/2019
6:30 pm - 9:30 pm
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„Im Westen nichts Neues“ – im gleichnamigen, weltberühmten Buch von Erich Maria Remarque, bedeutet das: Grabenkampf, Giftgas und das alltägliche Sterben an der Front des ersten Weltkriegs.
Wenn nun die israelisch-österreichische Autorin Anita Haviv-Horiner im Titel ihres jetzt erschienenen Buchs fragt „In Europa nichts Neues?“ dann bezieht sie sich damit auf etwas, dass zwar nicht im ersten Weltkrieg entstanden, nach ihm aber bald eine verhängnisvolle neue Dynamik aufnehmen sollte: Antisemitismus. Und wie der von Remarque beschriebene moderne Krieg, ist auch der Judenhass bis heute nicht verschwunden. Welchen Blick Israelis darauf haben, dass Juden in Europa noch immer und wieder vermehrt angegriffen werden, hat Haviv-Horiner in ihrem Buch versucht herauszufinden und abzubilden. Bei der Launch-Veranstaltung im Talk House Tel Aviv am Dienstag 28. Mai konnten sich potentielle Leser einen ersten Überblick zu dem Werk verschaffen.
Nach Grußworten von FES-Projektmanager Micky Drill, IDG-Vorstandsmitglied Emanuel Shahaf und Miriam Vogel von der Bundeszentrale für politische Bildung, sprach zunächst der Geschichtsprofessor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem. In seinem Vortrag zeichnete sich ab, wie wandelbar und oft unscharf der Begriff des Antisemitismus ist. Offener Judenhass, Holocaustleugnung aber auch exzessive Kritik an Israel werden heute unter diesem Label zusammengefasst. Insbesondere wo legitime Kritik am jüdischen Staat zu Antisemitismus wird, ist aber teils unklar und hängt auch von subjektiven Empfindungen ab, sodass es in Israel teils widersprüchliche Positionen zum Thema gibt.
Genau diese Pluralität unterschiedlicher jüdischer Perspektiven auf Antisemitismus sei es auch, die sie in ihrem Buch herausstellen wolle, erklärte Haviv-Horiner am Dienstagabend. Um dem gerecht zu werden, lässt sie in Interviews, die den Großteil ihres Buchs ausmachen, viele verschiedene Jüdinnen und Juden mit ihren individuellen Blickwinkeln zu Wort kommen.
Solche Vielstimmigkeit zog sich auch durch den Abend der Buchvorstellung, in dessen Verlauf nicht nur Abschnitte des Werks vorgelesen, sondern auch in einem Panel über das Thema gesprochen wurde. Die Antwort der Teilnehmer_innen auf die Frage „In Europa nichts neues?“ blieb genauso ambivalent und vieldeutig, wie die im Buch vertretenen Positionen zum Thema: Ja und Nein, so der Tenor auf der Bühne. Der alte Antisemitismus sei immer noch da, nehme aber teils neue Formen an. Gefährlich sei er in jeder Form.
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Über das Buch:
Das von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichte Buch geht schwerpunktmäßig der Wechselwirkung zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren zum Thema Antisemitismus nach. Mit Hilfe von 15 lebensgeschichtlichen Interviews werden Israelinnen und Israelis (zwischen 27 und 80 Jahren alt) befragt, die aus Europa nach Israel ausgewandert sind, beziehungsweise heute in Europa leben.
Durch den biografischen Charakter der Gespräche setzen sich die Lesenden mit den – zumeist vom Holocaust geprägten – Familiengeschichten auseinander. Darüber hinaus gewähren die Befragten der Leserschaft Einblicke in den israelischen Alltag, jüdische Geschichte(n) in der Diaspora und Familienschicksale. Die Lesenden werden angeregt über unterschiedliche Formen von Antisemitismus sowie seiner Verbindung zu anderen Formen von gruppenbezogenen Menschenhass nachzugehen.
Ein wichtiger inhaltlicher Schwerpunkt liegt in der Frage nach der Rolle Israels im Kontext der Auseinandersetzung mit Antisemitismus. In den Unterhaltungen wurden unterschiedliche und widersprüchliche Thesen zum Thema Antisemitismus zusammengestellt, das Prinzip der Vielstimmigkeit charakterisiert die Unterhaltungen. Das gilt – auch und ganz besonders – für die Wahrnehmung der Rolle des jüdischen Staates in diesem Kontext.
Über die sehr persönlichen Sichtweisen der Gesprächspartner/-innen eröffnen sich Perspektiven auf historische und aktuelle Prozesse. Die Lesenden werden angeregt, die Lebenswelten der Befragten zu entdecken und in einem zweiten Schritt über ihre eigene Geschichte und Gesellschaft im Kontext von Antisemitismus als identitätsstiftender Faktor zu reflektieren. Die wissenschaftlichen Beiträge von Moshe Zimmermann und Samuel Salzborn skizzieren den historischen Rahmen und befassen sich mit der aktuellen Rolle von Antisemitismus heute.